Dieter Vieweger

Streit um das Heilige Land. Was jeder vom israelisch-palästinensischen Konflikt wissen sollte

Gütersloh (Gütersloher Verlagshaus) 2010

288 S., Broschur €19,95

ISBN 978-3579067575

 

            Der Verfasser, Professor für Biblische Archäologie und Altes Testament in Wuppertal und Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEI) in Jerusalem und Amman, bekannt durch seine bisherigen Ausgrabungen am Tall Zira’a, versucht mit diesem Buch nicht mehr und nicht weniger als die Quadratur des Kreises, was ihm zu einem Großteil sogar gelungen ist. Der Anspruch dieses Buches einen historisch und religionsgeschichtlich kompletten Hintergrund des Nahostkonflikts aus einer nicht wertenden, neutralen Position heraus zu erstellen, erscheint insofern als eine schwierige Angelegenheit, als der Verfasser ja selber als exponierter Vertreter einer der drei beteiligten Religionen dieser Region per se nicht unbedingt neutral sein kann. Um einen Vergleich aus dem Bereich des Fußballs heranzuziehen, ist es in etwa wie wenn Bayern Münchens Präsident Uli Hoeness eine Geschichte der Bundesliga schriebe ohne dabei die Erfolge seiner eigenen Mannschaft dabei herausstellen zu wollen. Eine solche Geschichte würde mitnichten weit weniger neutral ausfallen als das uns vorliegende Buch, das seinem neutralen Anspruch durchaus gerecht wird und auf Schuldzuweisungen jeglicher Art verzichtet. Allerdings kann man eine neutrale Position auch durch eine übergroße Ausblendung des eigenen religiösen Herkunftshintergrundes erreichen. Und hierin liegt vielleicht der einzige Schwachpunkt des Buches: Auch wenn V. mit Recht festhält, dass das Christentum keine ursächliche Funktion im Konflikt zwischen Juden und Muslimen gehabt hat, kommt dem Christentum und den Christen im Nahen Osten m. E. doch eine größere Rolle zu als die des bloßen Zuschauers der Geschichte, die mit einer halben Seite abgehandelt wird (240). Zu dieser langen Auseinandersetzung gehören mitunter auch einige der grausamsten Episoden, die oft genug im Namen des Christentums ausgetragen wurden. Man denke nur an die Kreuzzüge im Mittelalter oder an die Massaker an Flüchtlingen im Libanonkrieg.

 

Das Buch ist in einem leicht lesbaren, an eine breite Leserschaft adressierten Stil gehalten und mit bemerkenswerter Detailkenntnis von Hintergrundinformationen ausgestattet, die bis auf die letzte Tagebucheintragung oder private Kommunikation sehr genau recherchiert und dokumentiert ist, wovon man im Guttenbergschen Zeitalter nicht mehr von vornherein ausgehen kann. Es ist in drei Hauptteile unterteilt: einer sachlich-historischen Einführung in die Problematik des Konfliktes (19-60), einer Erarbeitung des religiös-mythologischen Hintergrundes der drei beteiligten Religionen mit Schwerpunkt auf Judentum und Islam (61-107), sowie eine detaillierte historisch-politische Auseinandersetzung mit den Geschehnissen im heiligen Land von 1882 bis zur Gegenwart (108-250), die naturgemäß den größten Teil des Buches ausmacht. Abgeschlossen wird es mit einem Ausblick und einem wie auch immer kleinstmöglichen Hoffnungsschimmer in diesem scheinbar unauflösbaren Wirrwarr von Interessen und Ansprüchen beider Seiten.

 

Kapitel 1 beginnt bereits mit einem umstrittenen Thema, nämlich der Namenswahl für die betreffenden Gebiete im Nahen Osten. Nachdem verschiedene Varianten erörtert werden, darunter u. a. die aktuellen Landesbezeichnungen Israel/Palästina, Heiliges Land, Kanaan, Cis/Transjordanien, einigt sich V. auf die rein geographische Bezeichnung ‘Südliche Levante’, die er im Folgenden auf das Gesamtgebiet Israel/Palästinas anwendet. Diese Bezeichnung kommt dem/der LeserIn vielleicht etwas gestelzt und künstlich vor, weil es in der Umgangssprache wenig benutzt wird, aber in seiner Bemühung ein möglichst neutrales Werk abzuliefern, erscheint dieser Weg jedoch durchaus sinnvoll. (23-25) Es folgen ein Überblick in die Frühgeschichte des Konfliktes bis zurück ins Jahr 1200 v. Chr. als das Gebiet noch von den kanaanäischen Vorfahren besiedelt war. Hierin unterscheidet sich dieses Buch ebenfalls von anderen Abhandlungen über den israelisch/palästinensischen Konflikt, da es gerade die von israelischer Seite oft hervorgebrachte Meinung der Gottgegebenheit des Landes anspricht. Dieser Überblick endet etwa mit dem 1. Weltkrieg. (25-34) V. spricht im Einführungskapitel noch weitere Problemfelder an, die beide Seiten gleichermassen betreffen, wie etwa die Wasserversorgung oder die unterschiedlichen Grenzziehungen in der Vergangenheit.

 

Im Anschluss daran befasst sich Kapitel 2 mit einer Art Entmythologisierung langjähriger, immer wieder hervor gebrachter religiöser Vorbehalte sowohl auf jüdischer, als auch auf muslimischer Seite. Die jeweils unterschiedlich interpretierten Begriffe Volk und Land, sowie die jeweiligen heiligen Stätten stehen hierbei im Mittelpunkt. Besonders in letzten Abschnitt wird hier die bei beiden Seiten beliebte Methode der retroaktiven Geschichtsklitterung angesprochen (104f.), in der es im Wesentlichen darum geht, die eigene Täterrolle herunter- und diejenige des (ewigen) Opfers hochzuspielen.

 

Kapitel 3 ist mit Sicherheit der interessanteste Teil des Buches und gibt einen detaillierten Einblick in die geschichtlichen Abläufe des Konfliktes seit 1882. Der Verlauf dieses Kapitels verdeutlicht die permanente Atmosphäre des Misstrauens, die es praktisch von Beginn des Konfliktes an zwischen allen beteiligten Parteien gegeben hat und immer noch gibt. Dass einem die eigene Haut immer viel näher ist als das Wohlergehen des (verhassten) Nachbarn belegen die vielen Zitate von arabischen und israelischen Repräsentanten über viele Jahre hinweg. Dies ist wahrscheinlich auch der größte Hinderungsgrund für eine friedliche Lösung des Konfliktes. Es gab seit dem 2. Weltkrieg nur zwei (2) glaubwürdige Versuche, diesen Teufelskreis mit einem „game changer“ zu durchbrechen, in dem beide Parteien einmal über ihre Schatten sprangen und nicht nur das eigene Wohl in den Vordergrund schoben. Beide Male jedoch musste jeweils einer der Protagonisten diesen Versuch mit seinem Leben bezahlen, was wiederum typisch für diesen Konflikt ist. Beim ersten Mal handelt es sich um den ägyptisch-israelischen Friedensschluss von 1979 (der ägyptische Präsident Sadat wurde u. a. deswegen 1981 ermordet). Der zweite Versuch waren die Oslo I-Abkommen von 1995, die dem israelischen Ministerpräsidenten Rabin das Leben kostete und die eben deswegen bis heute nicht komplett umgesetzt worden sind, aber immerhin zum israelisch-jordanischen Friedensvertrag führte.

 

V. s abschließender Ausblick fällt daher naturgemäß sehr vorsichtig aus, wenn auch nicht unbedingt pessimistisch. Der Verf. verweist auf die vielen einzelnen Problemfelder, die in seinem Buch angesprochen wurden und ohne deren Lösung es wahrscheinlich keinen permanenten Frieden im Nahen Osten geben wird. Werden diese einzelnen Probleme separat angegangen, könnte es auf lange Sicht einen dauerhaften Frieden geben. Die einzige Alternative wäre allenfalls die von V. angesprochene langfristige „natürliche“ Regelung des Problems. Da nämlich die Geburtenrate der arabischen Bevölkerung wesentlich höher ist als diejenige der israelischen, bestünde die Möglichkeit, dass in einigen Jahrzehnten die Juden eine Minderheit im eigenen Staat darstellten. (254f.) Ich möchte an dieser Stelle lieber nicht darüber spekulieren, welche praktischen Auswirkungen eine solche Entwicklung auf diesen Konflikt haben mag.

 

Einen weiteren Hoffnungsschimmer, den V. noch nicht in sein Buch einarbeiten konnte, stellen die jüngsten arabischen Revolutionsbewegungen in mehreren Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens dar, deren Auswirkungen auf das Verhältnis zu Israel noch nicht abzuschätzen sind. Es bleibt zu hoffen, das die Demokratiewünsche der arabischen Nachbarn auch von Israel ernst genommen werden und nicht nur wieder als Bedrohung des Status quo angesehen werden, die es gilt im Keim zu ersticken. Alles in allem ist dieses Buch eine sehr willkommene Ergänzung zur ewig aktuellen Frage des israelisch-palästinensischen Konfliktes, das aufgrund seiner neutralen Haltung auch einen Beitrag zum jüdisch-islamischen Dialog beitragen kann,...soweit beide Seiten denn dazu bereit sind. Man möge sich wünschen, dass das Christentum darin wenigstens eine Vermittlerfunktion einnehmen könnte.

           

 

Thomas Hentrich

Ajax, ON, Canada

April 2011

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